Stablecoins: Wie sie ihren Wert stabilisieren — oder daran scheitern wie UST
Stablecoins sind der stille Elefant im Krypto-Markt: Sie versprechen Ruhe (feste Preise) und imponieren durch Größe (156 Milliarden von 1,3 Billionen, also jeder achte Euro im Krypto-Markt, stecken in Stablecoins — Tendenz steigend). Doch geraten sie in Panik, wird viel Porzellan zerschlagen: Der Zusammenbruch des Terra-Luna-Systems vergangene Woche hat 40 Milliarden Euro in LUNA und UST vernichtet und den Krypto-Markt erschüttert. War das unvermeidlich? Wie soll überhaupt der widerspenstigen Kryptowährungen Zähmung gelingen? Und was bedeuten Stablecoins für Krypto-Investments?
Von innovativen Systemen, missglückten Experimenten und der Wiederentdeckung wirtschaftlicher Gesetze
Wer „Stablecoins“ hört, denkt an Tether USD (USDT): Die Nummer 3 hinter Bitcoin und Ethereum stieg im Marktwert seit 2017 über 100-fach auf 75 Mrd. Euro. Der kometenhafte Aufstieg flacht aber ab. Undurchsichtige Strukturen und unklare Geschäftsabläufe lassen Kritik immer lauter tönen. Doch welche Alternativen gibt es?
Stablecoins sind heterogen wie der Krypto-Markt. Die Federal Reserve unterscheidet:
- Institutionelle/private Stablecoins, die von Instituten wie z. B. Banken intern ausgegeben werden, u. a. um den internen Geldfluss zu steuern. Sie eignen sich nicht als globales Kryptogeld.
Beispiel: JP Morgan Coin - Off-chain-besicherte Stablecoins, die durch klassische Finanzwerte besichert werden. Sie weisen daher Emittentenrisiko auf.
Beispiel: USD Coin (USDC) oder Facebooks/Metas gescheiterte Libra/Diem - Dezentrale Stablecoins, die ihren Wert mittels Smart Contracts stabilisieren. Sicherheiten können, müssen aber nicht hinterlegt sein.
Beispiele: Near-Protokoll Dollar (USN), Maker DAO (DAI), Celo Euro (cEUR)
Nur der dritte Ansatz entspricht dem Blockchain-Prinzip, Abhängigkeiten von einzelnen Ausfallpunkten zu vermeiden. Es waren daher die dezentralen Stablecoins, welche in den letzten zwei Jahren Milliarden an Kapital und die mediale Aufmerksamkeit angezogen haben.
Wie stabilisieren dezentrale Stablecoins ihren Wert?
Das Ziel dezentraler Stablecoin-Systeme ist grundsätzlich einen Krypto-Wert zu bieten, der ohne zentrale Instanz (wie z. B. ein Unternehmen) einen stabilen Preis bewahrt — gleich, wie stark der Markt schwankt. Dazu erzeugen sie eine Kryptowährung, deren Einheiten 1:1 dem Wert einer Fiat-Währung (oft USD) entsprechen sollen. Deren Preis wird dann von Smart Contracts teil- oder vollautomatisiert stabilisiert. Dazu bestehen drei sehr verschiedene Ansätze, wobei viele Systeme zwei kombinieren.
1. Durch Rebasing – Anpassung des Münzfußes
Bloß dieser dezentrale Ansatz arbeitet mit nur einem Krypto-Wert. Die Idee ist, den Coin zu stabilisieren, indem die Menge seiner Token elastisch der Nachfrage angepasst wird.
Als unser Geld noch aus Münzen bestand, war der Münzfuß das festgelegte Maß für die Menge an Münzen einer Sorte, welche aus einer Gewichtseinheit des Edelmetalls geschlagen wurde. Durch die Anpassung des Münzfußes konnte der Münzherr die Menge der Münzen dynamisch der Nachfrage anpassen. In der Praxis bestand meist so einige Nachfrage durch den Münzherren selbst, der am bequemsten durch eine Aufweichung des Maßes einen erhöhten Schlagschatz (Seignorage) lukrieren konnte. Die Geschichte der Numismatik berichtet daher deutlich öfter von sog. Münzverschlechterung als -verbesserung. Das Prinzip ist jedenfalls seit Jahrtausenden bekannt.
Bei Rebase-Stablecoins wird also periodisch, z. B. alle 24 Stunden, die Menge der Token so angepasst, dass der Token-Wert dem Referenzwert (z. B. 1 USD) entspricht. Jeder Besitzer findet also nach jeder Anpassung eine andere Anzahl an Token in seinem Wallet vor. Wer 100 Rebase-Token hatte, erhält bei einem Token-Preis von 1,20 USD zum Rebasing weitere 20 vom Smart Contract ausgestellt. Liegt umgekehrt der Preis bei 0,80 USD, werden 20 Token aus dem Wallet des Halters entfernt bzw. verbrannt. Da dies jeweils bei allen geschieht, sollte der unveränderte Gesamtwert geteilt durch die angepasste Geldmenge wieder 1 USD je Token ergeben. Schließlich schafft oder zerstört die neue Denomination keinen Wert, genau wie bei Aktiensplits.
Beispiel: Ampleforth (AMPL)
2. Durch hinterlegte Sicherheiten – äußere Deckung
Der einfachste Ansatz ist jener des Pfandleihers: Wer Krypto-Werte im festgelegten Gesamtwert von über einer Fiat-Einheit an den entsprechenden Smart Contract transferiert, der erhält eine Einheit eines besicherten Stablecoins. Der Smart Contract bindet die erhaltenen Krypto-Werte und gibt sie erst gegen einen rücküberwiesenen Stablecoin frei.
Ein solches System kann z. B. eine dreifache Überbesicherung verlangen und die Sicherheiten liquidieren, wenn deren Wert unter das doppelte der ausgestellten Stablecoins fällt. Die Erlöse benutzt der Smart Contract, um Stablecoins am Markt aufzukaufen. Solche Stablecoin-Systeme haben also viele Ähnlichkeiten mit On-chain-Krediten.
Beispiel: MakerDAO (DAI)
3. Durch eigene Gegenwerte, sog. algorithmische Stablecoins – innere Deckung
Diese Systeme schaffen drei verbundene Komponenten:
- einen Stablecoin, dessen Wert z. B. bei 1,00 USD bleiben soll,
- einen (volatilen) Krypto-Token als Gegenwert (manchmal auch mehrere),
- einen Mechanismus, der die Schwankungen des ersteren zu letzterem umleitet.
Die Idee lautet, dass Smart Contracts immer 1 Stablecoin gegen so viele Einheiten des Gegenwerts tauschen, wie einem USD entsprechen, und umgekehrt. Steigt also der Stablecoin-Kurs über 1 USD, erhält man für Gegenwerte um 1 USD den teureren Stablecoin und die Differenz als Profit. Fällt hingegen der Kurs unter 1 USD, tauschen Halter den Stablecoin ein und können 1 USD an Gegenwerten mit Gewinn veräußern.
Technisch gesehen findet kein Tausch statt, sondern die Smart Contracts vernichten erhaltene Stablecoins und generieren entsprechend den Gegenwert, oder umgekehrt. Die zirkulierende Menge beider Krypto-Token passt sich so dem Bedarf an. Deswegen hat sich eingebürgert, diese Art „algorithmische Stablecoins“ („algo-stables“) zu nennen — eine unglückliche Wortwahl, da dezentrale Stablecoins mit den anderen beiden Ansätzen natürlich auch auf Algorithmen bauen.
Ökonomisch wesentlich ist, dass dieser Mechanismus eine Arbitrage-Gelegenheit bieten soll, sobald der Stablecoin von seiner Bindung abweicht. Die Stabilisierung erfolgt dann durch Marktkräfte. Verkürzt hört man daher oft, „algorithmische Stablecoins werden durch Arbitrage stabilisiert“. Stimmt das?
Wann scheitern algorithmische Stablecoins?
Tatsächlich funktioniert der Ansatz bei kleineren Schwankungen ausgesprochen gut. Dieser Umstand hat manche Proponenten zuletzt wohl vergessen lassen, dass diese „Arbitrage“ auf zwei entscheidenden Voraussetzungen fußt:
- Es muss langfristig genug Wert im System liegen, damit die Stabilisierung niemals scheitert — nur bei 0% Risiko bieten die Smart Contracts tatsächlich Arbitrage.
- Es müssen bei jeder Abweichung kurzfristig genügend Kapitalflüsse die Gelegenheit wahrnehmen und die Smart Contracts die Abwicklung bewältigen können.
Die vergangene Woche rief diese Voraussetzungen schmerzhaft in Erinnerung: Das größte auf „Arbitrage“ basierende Stablecoin-Projekt, das Terra-Luna-System, brach innerhalb von 72 Stunden in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Der Stablecoin UST verlor den Großteil seiner 16 Milliarden bis zum Halt seiner Blockchain und bei seinem Gegenwert LUNA verpufften 25 Milliarden Euro an Marktwert; Die Verwerfungen, die der Kollaps in DeFi-Protokollen ausgelöst hat, wo UST der vorrangig verwendete Stablecoins war, und der Vertrauensverlust im Krypto-Markt insgesamt sind da noch gar nicht eingerechnet. Zahlreiche Unternehmen und noch mehr individuelle Existenzen stehen nach diesem wohl gravierendsten Vorfall seit Bitconnect 2016 nun am Abgrund. Der „r/terraluna“ Subreddit hat eine Liste mit den Telefonnummern der Notrufstellen bei Suizidgefahr als ersten Eintrag fest verankert.
Was bedeutet das für Krypto-Investments?
Krypto-Märkte sind Teil des Finanzmarkts: Gewinne und Verluste sind genauso real wie bei Aktien, Anleihen oder Fremdwährungen. Es gelten die gleichen ökonomischen Gesetze. Diversifikation ist notwendig. Arbitrage mit Risiko ist keine. Währungsbindungen sind Ziel spekulativer Angriffe. Vertrauensverluste lösen ganz rational Kapitalflucht aus. Seit Jahrtausenden geschieht nichts Neues unter der Sonne.
Gleichzeitig sind Krypto-Werte eine eigene, junge Anlageklasse von hochkomplexen Technologiewerten mit eigener Terminologie und enormer Dynamik. Fast nichts klingt bekannt; was verständlich klingt, hat oft andere Bedeutung; kaum ein Grundprinzip der Techniken wurde im Studium gelehrt.
Dennoch wäre ein Verzicht auf diese Anlageklasse so unvernünftig wie auf Aktien zu verzichten wegen der Dotcom-Blase, auf Anleihen wegen des griechischen Zahlungsausfalls oder auf Bankguthaben wegen der zypriotischen Zwangsabgaben.
Es bleiben nur zwei Wege zu rationalen und professionellen Investments: entweder die Zeit zu investieren, selbst zu einem kompetenten Investor auf diesem Gebiet zu werden. Oder den (begrenzten!) Vermögensanteil für Krypto-Investments dem Management durch Profis, wie z. B. im F5 Crypto Fonds 1, anzuvertrauen.
Monetary Stabilization in Cryptocurrencies—Design Approaches and Open Questions ⌊Download SSRN⌉, ⌊DOI⌉, IGA Pernice, S Henningsen, R Proskalovich, H Elendner and B Scheuermann, IEEE Crypto Valley Conference on Blockchain Technology (CVCBT) 2019.