Das Flippening: Ethereum bald die Nummer 1?
Im August 2021* erhält das Ethereum-Ökosystem ein großes Update namens London Hard Fork. Was steckt dahinter und wie realistisch ist das sogenannte Flippening?
Das Flippening
Man spricht von einem Flippening, wenn zwei etablierte Werte ihre Position langfristig tauschen. Nach dem zweiten Weltkrieg flippte zum Beispiel der US-Dollar das britische Pfund als Welt-Reservewährung. Von diesem Zeitpunkt an wurden mit Abstand die meisten globalen Reserven in US-Dollar gehalten.
Bitcoin ist die unbestrittene Nummer 1 aller Kryptowerte. Wer hier vom Flippening spricht, meint, die zweitgrößte Währung Ethereum laufe gemessen an Marktkapitalisierung Bitcoin den Rang ab. Sowohl Bitcoin als auch Ethereum stellen dezentrale Blockchains dar, deren Transaktionen durch das Mining validiert werden.
Bitcoin ist die weltweit bekannteste Kryptowährung und dient als Wertaufbewahrungsmittel. Durch das alle 4 Jahre stattfindende Halving, bei dem die Menge der neu in den Umlauf kommenden Bitcoins halbiert wird, und die Beschränkung auf maximal 21 Millionen Stück ist es ein streng limitiertes Gut. Bitcoin hat zum aktuellen Zeitpunkt eine Marktkapitalisierung von ca. 700 Milliarden US-Dollar.
Ethereum bildet die Grundlage für Smart Contracts, Decentralized Finance (DeFi) und Non-Fungiblen Token (NFT). Allein im DeFi-Bereich sind knapp 60 Milliarden US-Dollar hinterlegt. Die Basis für die Finanzindustrie der Zukunft mit dezentralen Smart Contracts führt zu Geschäftsmodellen, die Intermediäre ausschließen und somit potenziell einen hohen ETH-Preis erzeugen. Das Angebot liegt bei 116 Millionen Ether, dem Token des Ethereum Netzwerks, und die Marktkapitalisierung beträgt ca. 300 Milliarden US-Dollar.
Während Bitcoin-Maximalisten das begrenzte Angebot als wichtigste Eigenschaft des dezentralen Guts betrachten, heben Ethereum-Maximalisten die zahlreichen Anwendungsfälle hervor. Erstere kritisieren das unendlich hohe ETH-Angebot, da es keine Begrenzung der neu hinzukommenden Ether gibt. Daher sei Bitcoin wertvoller als Ether.
Das Angebot an verfügbarem ETH ändert sich mit dem EIP-1559, das im August 2021 Einzug in das Ethereum Netzwerk erhält.
Gebühren bei Bitcoin und Ethereum
Im Bitcoin Netzwerk und dem dazugehörigen Proof of Work Mechanismus erhalten die Miner für das Validieren und Sichern der Blockchain eine monetäre Gegenleistung in Form neu geschürfter Bitcoins. Ebenso erhalten sie die von den Anwendern geleisteten Transaktionsgebühren. Die Difficulty im Bitcoin Netzwerk sorgt für eine gleichmäßige Ausschüttung neuer Bitcoins, unabhängig davon, wie viele Miner das Bitcoin Netzwerk sichern. Ein neuer Block mit etwa 2000 Transaktionen wird im Schnitt alle 10 Minuten erstellt.
Die Ethereum Blockchain folgt aktuell dem gleichen Modell. Die Nutzer zahlen für das Inkludieren von Transaktionen in Blocks ebenso Gebühren an die Miner, die ETH schürfen.
Durch die exponentiell steigende Nutzung sowohl von Bitcoin als auch Ethereum steigen die Transaktionsgebühren bei beiden oft erheblich. Eine einfache Ethereum-Transaktion konnte am 19.05.2021 zeitweise über 71 US-Dollar kosten. Ende Mai lag sie wieder unterhalb eines US-Dollars.
Die steigenden Transaktionsgebühren der Ethereum Blockchain führen dazu, dass sie im Vergleich zu anderen Blockchains wie der Binance Smart Chain (BSC) unattraktiv wird. Die Binance Smart Chain ist zwar günstiger in der Ausführung von Transaktionen, jedoch wird sie durch Binance kontrolliert und ist somit nicht dezentral. Dies ist ein Beispiel des Blockchain-Trilemma.
Trotz der hohen Gebühren ist das Ethereum Netzwerk die meistgenutzte Blockchain. Im Tagesdurchschnitt sind die gezahlten Transaktionsgebühren bei Ethereum mehr als viermal so hoch wie bei Bitcoin.
Was ist EIP-1559?
EIP steht für Ethereum Improvement Proposal. Ein Proposal ist ein Verbesserungsvorschlag, der bei freier Open Source Software von jedem Anwender eingereicht werden kann. Das EIP-1559 wurde von den Ethereum Core Entwicklern freigegeben, nachdem es bewertet, angepasst und getestet wurde.
Durch das EIP-1559 ändert sich die Gebührenstruktur für Transaktionen auf der Ethereum Blockchain. Während vor dem Upgrade die Nutzer die Transaktionsgebühren selbst festlegen konnten, um den Minern einen Anreiz für das Vorziehen ihrer Transaktion zu geben, entfällt dies in Zukunft. Stattdessen wird eine Base Fee eingeführt, die sich automatisch abhängig von der Netzwerkauslastung festsetzt und pro Transaktion entrichtet wird. Die Auslastung der Blockgröße beträgt 50%. Wenn die Blockgröße 50% der Kapazität durch die steigende Anzahl an ETH-Transaktionen überschreitet, erhöht sich die Base Fee automatisch und vice versa. Zusätzlich wird eine Tip-Funktion implementiert, die Nutzer für eine schnelle Transaktion direkt an die Miner bezahlen können. Die Base Fee ist so hoch wie für das Validieren des nächsten Blocks auf der Ethereum Blockchain notwendig und somit potenziell günstiger als eine manuelle Festsetzung durch den Nutzer.
Beispiel
Die Transaktionsgebühr für ETH liegt aktuell bei 5 US-Dollar. Vor dem EIP-1559 würde ein Nutzer 10 US-Dollar an Gebühren für eine schnelle Transaktion zahlen. Wenn für den folgenden Block jedoch alle anderen Nutzer 3 US-Dollar an Transaktionsgebühren entrichten würden, wären 4 US-Dollar für eine schnelle Transaktion ausreichend. Mit dem Upgrade werden die Kosten automatisch auf 4 US-Dollar festgelegt, sodass ein Nutzer im Vergleich 6 US-Dollar spart.
Auf diese Weise wird bei einer hohen Nachfrage auf der Ethereum Blockchain die Volatilität der Transaktionskosten durch die Volatilität der Blockgröße abgelöst.
Weiterhin wird die Basisgebühr “geburnt” und aus der Zirkulation ausgeschlossen. Die Transaktionsgebühr wird nicht mehr von den Minern eingesammelt. Durch das EIP-1559 wird ETH ein deflationäres Gut.
Nimmt man in Zukunft eine hohe Nutzung von ETH an, wird das Abnehmen des ETH-Angebots verstärkt. Im Gegensatz zu Bitcoin, dessen aktuelle Inflation bei 1,63% liegt, würde das langfristige ETH-Angebot nicht nur langsamer steigen, sondern sogar sinken. Pro Jahr könnten bis zu 4% des im Umlauf befindlichen ETH-Angebots geburnt werden.
Eine weitere Folge des Upgrades bezieht sich auf die Transaktionsgeschwindigkeit. Bei einer hohen Netzwerkauslastung steigt die Base Fee und jene Transaktionen mit einem entrichteten Tip werden zuerst bearbeitet. Anschließend sinkt die Base Fee und die Blockgröße kehrt wieder zur 50% Auslastung zurück. Auf diese Weise erhöht sich die Transaktionsgeschwindigkeit und es ist anzunehmen, dass die Transaktionen von Nutzern nach nur wenigen Blocks bearbeitet werden. Da die durchschnittliche Dauer zur Erzeugung eines ETH-Blocks ca. 15 Sekunden beträgt, wird die Bearbeitungsdauer pro Transaktion auf wenige Minuten reduziert.
Letztlich wird Ether also ein knapperes Gut als Bitcoin mit einer optimierten Transaktions- und Gebührenstruktur. Ist es somit auch besser als Bitcoin?
Das unabdingliche Flippening?
Das EIP-1559 stellt einen großen Fortschritt für das Ethereum Netzwerk dar; es macht Ether zu einem deflationären Gut, erhöht die Sicherheit, reduziert die Transaktionsgebühren und erhöht die Transaktionsgeschwindigkeit für die Nutzer. Damit hat ETH bei den Schlüsselaspekten wie Inflation und Transaktionskosten gute Chancen, Bitcoin den Rang abzulaufen.
Das Ethereum Netzwerk befindet sich weiterhin in Entwicklung und das anstehende Upgrade ist nur eine Zwischenlösung. Der aktuelle Proof of Work Mechanismus wird im Rahmen der Umstellung auf ETH 2.0 durch den Proof of Stake Mechanismus abgelöst. Dieser schafft das Mining ab und incentiviert das Staking, bei dem die Validatoren das Ethereum Netzwerk absichern. Obwohl einige Jahre bis zur finalen Form von ETH 2.0 vergehen könnten, sind die Konsequenzen für das verfügbare ETH-Angebot absehbar. Das ETH-Angebot wird sich weiterhin reduzieren und somit Ethereum zu einem bedeutenden Wertaufbewahrungsmittel aufsteigen lassen.
Es wird sich zeigen, wie Bitcoin mit dem Proof of Work Mechanismus und Ether mit dem Proof of Stake Mechanismus koexistieren. Das EIP-1559 ist der erste Schritt in Richtung eines deflationären Guts, einer Eigenschaft, die aktuell nur Bitcoin vorbehalten ist.
Aus meiner Sicht ist das Flippening unvermeidbar und eine Frage der Zeit. Erst nach der vollständigen Implementierung von ETH 2.0, welche frühestens im Jahre 2022 erfolgt, hat Ethereum das Potenzial, Bitcoin vom Thron zu stoßen.
*Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels wurde Juli 2021 für das London Hard Fork genannt. Das Upgrade hat sich um einen Monat verschoben. Die Angabe wurde korrigiert.